Die vielfältigen Lipide und fettähnlichen Substanzen stehen zunehmend im Rampenlicht der Forschung, um körpereigene Prozesse und ihre Bedeutung für Erkrankungen aufzuklären. An der Fakultät erfährt die Lipidomik, also die Untersuchung der Gesamtheit der Lipide, mit einer neuen Gruppe um den Analytiker Robert Ahrends starken Zuwachs.
Ein Zuviel an Fett gilt vor allem als ungesund und eine Fettstoffwechselstörung heute als Zivilisationskrankheiten. Dass das Bild von den Lipiden damit viel zu kurz greift, zeigen Studien aus den vergangenen fünf Jahren. Schon alleine die Vielfalt der Fette und fettähnlichen Substanzen – laut heutigen Schätzungen gibt es etwa 300.000 unterschiedliche Lipidstoffe in humanen Zellen – verlangt nach Differenzierung.
"Früher galt alles nur als Fett. In den 1980er Jahren hat sich die Forschung dann die Lipidklassen angeschaut – und heute sind wir soweit, einzelne Moleküle identifizieren und damit auch verschiedene Lipide z.B. für bestimmte Symptome von Hautstörungen oder Herzproblemen verantwortlich machen zu können", sagt Robert Ahrends, der mit Beginn des Jahres die Tenure Track Professur Analytische Chemie angetreten hat.
Puzzlestück zum großen Ganzen
Lipide schützen Zellen und Gewebe, sie sind Wärmeisolatoren und Energiebausteine und spielen – wie noch nicht allzu lange bekannt – bei der Signalübertragung eine zentrale Rolle. Ihre Bedeutung geht also über die Frage nach einer gesunden Ernährung weit hinaus.
"Selbst mit einem Lipidgehalt von etwa 15% im menschlichen Körper standen die Lipide lange nicht im wissenschaftlichen Fokus."
Es verdichten sich die Hinweise, so der Forscher, dass nicht genetisch determinierte Biomoleküle wie Metabolite und Lipide der Schlüssel zur biomolekularen Regulation sind. In der Biologie gebe es relativ viele qualitative Studien zu den Lipiden. Um die Zusammenhänge zwischen Vorkommen der Lipide und ihrer Funktion aber tatsächlich herstellen zu können, „brauchen wir quantitative Untersuchungen, wie sie in der Wirkstoffforschung oder bei der Analyse ihrer Rolle in der Signaltransduktion bisher noch wenig unternommen wurden“, sagt der Biochemiker, der zuvor am Dortmunder Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften die Arbeitsgruppe Lipidomics leitete.
Kombination von Datensätzen
An der Fakultät für Chemie möchte Ahrends die quantitative Lipid-Analytik in vielerlei Richtungen weiter vorantreiben, z.B. zur Untersuchung der Fettzellendifferenzierung und der Blutgerinnung. Um ein ganzheitliches Bild von der Zelle oder von Gewebe zu erlangen, braucht es die Kombination der Daten aus allen Bereichen: der Welt der Proteine, der Metabolite und eben der Lipide.
Ahrends will daher Lipide auch im Zusammenspiel mit ihren Proteinen (Proteomics) und Stoffwechselprodukten (Metabolomics) im großen Zusammenhang der Systembiologie besser verstehen und damit die "omics"-Disziplinen der Fakultät weiter ergänzen, hin zu "Multiomics" als integrativer Königsdisziplin.
- Ass.-Prof. Dr. Robert Ahrends studierte Biochemie in Gießen und promovierte am Institut für Analytische Chemie an der Humboldt Universität Berlin. Danach ging er ein Jahr zu Agilent Technologies zur Entwicklung analytischer Messmethoden, bevor er als Postdoc an die Stanford University (Chemical and Systems Biology), USA wechselte. 2013 kehrte er als Gruppenleiter nach Deutschland an das Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften (ISAS) in Dortmund zurück. Seit Jänner 2020 ist er im Rahmen einer Tenure Track Position am Institut für Analytische Chemie der Fakultät für Chemie, Universität Wien tätig. Mit seiner Gruppe kombiniert Ahrends modernste Massenspektrometrie und Datenanalyse-Verfahren zur globalen Aufklärung des Lipidomes.