Das Medulloblastom ist der häufigste bösartige Hirntumor bei Kindern. Bei den Betroffenen kommt es nach einem ersten Behandlungserfolg relativ oft zum Rückfall, der dann trotz intensiver krebstherapeutischer Maßnahmen zumeist nicht mehr beherrschbar ist. Chemiker*innen und Mediziner*innen um Christopher Gerner von der Universität Wien konnten mit Hilfe einer umfassenden molekularen Analyse der Cerebrospinalflüssigkeit wichtige Erkenntnisse bezüglich der Aggressivität des Medulloblastoms und damit Ansätze für neue Therapiemöglichkeiten finden. Ihre Multiomics-Studie erschien in dem Open Access Journal "Cancers MDPI".
Die genetischen Eigenschaften des embryonalen Tumors hat die Forschung in den vergangenen Jahren bereits weitreichend klären können. So hat sich etwa gezeigt, dass es verschiedene Subtypen des Tumors gibt, welche auch unterschiedlich behandelt werden. Über den potenziellen Einfluss des unmittelbaren Milieus des Tumors (genetisch normale Zellen der Tumormikroumgebung) auf die Erkrankung und ihre Entwicklung war bisher kaum etwas bekannt. Die aggressiven Eigenschaften des Tumors können kaum aus den genetischen Eigenschaften abgeleitet werden.
"Unser Ziel ist es, mit Hilfe eines Multiomics-Ansatzes – also einer kombinierten Datenanalyse des Protein-, Stoffwechsel- und Lipidhaushaltes – das Tumormikromilieu zu untersuchen, um Einflüsse und Wechselwirkungen mit dem Tumor zu identifizieren und zu verstehen", sagt Christopher Gerner, Professor für Analytische Chemie an der Universität Wien und Leiter der gemeinsam mit der Medizinischen Universität Wien betriebenen Joint Metabolome Facility.
Wiederkehrender Tumor
"Das Medulloblastom stellt uns täglich vor große klinische Herausforderungen", sagt Neuroonkologe Andreas Peyrl von der Medizinischen Universität Wien. "Wir haben einen antiangiogenen Therapieansatz bei rezidivierten Medulloblastomen etabliert und leiten die MEMMAT-Studie, eine internationale Phase II-Studie, aber wir suchen dringend nach weiteren verbesserten Behandlungsstrategien".
Obwohl ein Tumor-fördernder Beitrag durch Makrophagen bereits vermutet wurde, konnte erst durch die aktuellen Analysen ein molekularer Teufelskreis beschrieben werden, der die klinischen Beobachtungen viel besser verständlich macht.
Kombinierte Multiomics-Analyse
Im Rahmen einer Kooperation mit Wolfgang Buchberger von der Johannes Kepler Universität Linz wurden mittels modernster massenspektrometrischer Verfahren Proteomics, Metabolomics und Lipidomics-Datensätze erhoben und zusammengeführt. Neben dem Nachweis charakteristischer Tumor-Marker konnte gezeigt werden, dass Tumor-assoziierte Makrophagen direkt tumorfördernde Proteine bilden sowie zusätzlich Lipidhormone erzeugen, welche den Stoffwechsel wiederum in Tumor-fördernder Weise verändern. So kann eine Mikroumgebung entstehen, in der die Bildung von Therapie-resistenten Tumorzellen direkt gefördert wird.
"Über unseren Multiomics-Ansatz haben wir einen sehr effizienten Pathomechanismus beim Medulloblastom entdecken können, der unabhängig von den genetischen Eigenschaften der Tumorzellen entstehen kann und die Entwicklung ganz neuer therapeutische Strategien ermöglichen wird", so Christopher Gerner von der Fakultät für Chemie der Universität Wien. Die Studie demonstriert auch die Möglichkeiten, wie modernste postgenomische Analyse-Strategien das molekulare Verständnis von Krebserkrankungen verbessern können. Über den gleichen Ansatz haben die Forscher*innen heuer bereits beim Ovarialkarzinom, einem bösartigen Tumor der Eierstöcke, einen neuen Mechanismus für die Bildung bösartiger Metastasen nachweisen können.
Publikation in "Cancers MDPI" (open access):
Determination of a tumor-promoting microenvironment in recurrent medulloblastoma: a multi-omics study of cerebrospinal fluid, Bernd Reichl, Laura Niederstaetter, Thomas Boegl, Benjamin Neuditschko, Andrea Bileck, Johannes Gojo, Wolfgang Buchberger, Andreas Peyrl, Christopher Gerner, in: Cancers MDPI, Open Access Journal, DOI: doi.org/10.3390/cancers12061350
Wissenschaftlicher Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Christopher Gerner
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